15.06.2019 00:00 Italien wagt den
Aufstand gegen den Fiskalpakt
Der bevorstehende Konflikt zwischen der italienischen Regierung und den
europäischen Institutionen hat es in sich. Lega-Chef Salvini fühlt sich gestärkt
durch das gute Abschneiden seiner Partei bei den Europawahlen. Als erster
Politiker seit Griechenlands glücklosem Premier Tsipras wagt er nun den offenen
Konflikt mit der EU-Kommission. Es geht um Neuverschuldung, um eine angekündigte
Parallelwährung, um das Brüsseler Austeritätsdogma und vor allem um die Frage,
wie viel Handlungsspielraum eine gewählte Regierung innerhalb des ideologischen
Korsetts von EU und Eurozone überhaupt haben kann. Der Herbst könnte heiß werden. [Quelle: nds.de] JWD
Von Jens Berger | Quelle: nds.de |
13.06.2019
Quelle: nds.de (verlinkt) | Titelbild: Carlo Botta/Lega Nord
Oberflächlich geht es beim drohenden Defizitverfahren gegen Italien um eine
Differenz von 0,4 Prozentpunkten bei der Neuverschuldung. Eigentlich geht es
aber um eine viel elementarere Frage: Kann die EU-Kommission den EU-Mitgliedern
über den Umweg der Staatsfinanzierung die Leitlinien der Politik diktieren? Oder
zugespitzt: Wie souverän ist ein Staat eigentlich, der Mitglied der EU und der
Eurozone ist?
Seit der Finanz- und Eurokrise leidet Italien unter einer andauernden
Wachstumsschwäche. Ein „Nebeneffekt“ der schwachen Wachstumsraten, die Jahr für
Jahr leicht unter der Neuverschuldung liegen, ist die fortlaufend steigende
Staatsschuldenquote. Die bemisst sich aus dem Verhältnis der Staatsverschuldung
zur Wirtschaftsleistung eines Landes. Wenn eine Volkswirtschaft schrumpft,
steigt also die Staatsschuldenquote auch dann, wenn das Land gar keine neuen
Schulden aufnimmt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat Italien ein
Wachstumsproblem. Aus Sicht der Brüsseler Austeritätsideologie hat Italien
jedoch ein Schuldenproblem, das durch das Kürzen von Staatsausgaben behoben
werden soll. Doch dieser Ansatz hat in der Realität noch nie funktioniert. Aus
einer fortdauernden Wirtschaftskrise kann sich eine Volkswirtschaft nicht
„heraussparen“. Der Staat müsste vielmehr Geld in die Hand nehmen, um die
Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Quelle: nds.de (verlinkt)
Nachdem die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen seit Berlusconi sich der
Brüsseler Austeritätsideologie mehr oder weniger freiwillig untergeordnet haben,
ist es nun die Anti-Establishment-Koalition aus Fünf Sternen und der rechten
Lega, die mit Nachdruck ihr Recht auf die politische Gestaltung des Landes
verteidigt. Konkret geht es um ein zentrales Wahlversprechen – die Einführung
einer
15% Pauschalsteuer für alle Einkünfte unter 50.000 Euro pro Jahr, die vor
allem die mittleren Einkommen deutlich entlasten würde und den Staat rund 30
Milliarden Euro kosten würde. Geld, das sicher einen positiven Konjunkturimpuls
auslösen würde. Wie erbärmlich muss der Zustand von EU und Eurozone mittlerweile
sein, wenn man nun schon einen ausgemachten Rechtsausleger und Unsympathen wie
Salvini gegen die Borniertheit der Eurokraten verteidigen muss?
Doch die 30 Milliarden Euro für die Steuersenkung sind nur der bislang offen
geforderte Teil der italienischen Finanzierungswünsche. Weitere – je nach Quelle
– 30 bis 50 Milliarden Euro würde Salvini gerne dafür aufwenden, die „offenen
staatlichen Lieferantenrechnungen“ auf einen Schlag zu bezahlen. Derlei
Forderungen sind beim Volk populär und Salvini machte das Thema nun
öffentlichkeitswirksam sogar zu einer „Frage der Gerechtigkeit“. Es ist jedoch
wahrscheinlich, dass die „Handwerkerrechnungen“ eher der Aufhänger für eine ganz
andere Idee sind, die auf einem Plan des Lega-Finanzberaters Claudio Borghi fußt
und schon im letzten Jahr im Wahlkampf
thematisiert wurde – die Einführung einer
Parallelwährung namens „Mini-Bots“.
Was sind „Mini-Bots“?
Mini-Bots (Kurzform von Buono del Tresoro also „Schatzschein“) sind
dem Entwurf
nach in Euro dotierte Schuldverschreibungen des italienischen Staates, die weder
Verzinsung noch Laufzeit aufweisen und in kleinen Stückelungen (z.B. von 5 bis
100 Euro) als Papiernote ausgegeben werden. Da der italienische Staat sie zur
Begleichung von Steuerschulden akzeptieren würde, wären sie eine Art
„halboffizielles“ Zahlungsmittel und damit im dunkelgrauen Bereich der Legalität
zu verorten, da damit das Währungsmonopol der EZB unterlaufen würde.
Dementsprechend harsch waren auch die ersten Reaktionen. EZB-Chef Draghi hält
sie entweder für ein Zahlungsmittel und damit illegal oder für Schulden, die
ihrerseits auf die offiziellen Staatsschulden aufaddiert werden müssten. Und der
eigene Finanzminister Giovanni Tria bezeichnete die Mini-Bots als „entweder
illegal oder nutzlos“. Diese Äußerung trieb wiederum den 5-Sterne-Chef und
stellvertretenden Ministerpräsidenten Luigi Di Maio zur Weißglut.
„Die sind immer leise, still, bewegungslos und sobald irgendwer was Neues
vorschlägt, wachen sie auf und sagen, ´Nein, so geht das nicht´. Wenn der
Mini-Bot nicht das richtige Instrument ist, um Firmen zu bezahlen, dann kann der
Herr Finanzminister für uns ja vielleicht ein anderes Instrument finden.“,
fasste Di Maio die Wut seiner Bewegung auf die „marktkonformen“ Eliten im
Finanzministerium zusammen.
Neu ist die Idee übrigens nicht. Vor zehn Jahren sah sich der kalifornische
Gouverneur Arnold
Schwarzenegger gezwungen, aufgrund eines Haushaltsstopps IOUs
genannte Schuldscheine an Gläubiger und Lieferanten auszugeben, die ebenfalls
offiziell „nur“ zur Begleichung von Steuerschulden verrechnet werden sollten,
aber dennoch schnell als Parallelwährung kursierten, aber bereits wenige Wochen
später durch eine Einigung im Haushaltsstreit wieder gestoppt werden konnten.
Interessant werden die Mini-Bots jedoch ohnehin erst, wenn man an eine
Eskalation des Streits zwischen der EU-Kommission und Italien denkt. Im Herbst
wird es in Brüssel um die Abnahme von Italiens Staatshaushalt für 2020 gehen und
man muss keine seherischen Fähigkeiten haben, um hier den nächsten großen Clash
vorherzusagen. Wenn Italien dem Diktat der Kommission dann nicht nachkommen
sollte, stünde als mögliche Sanktion die Androhung der EZB im Raum, dem
italienischen Bankensystem die nötige Liquidität zu entziehen. Damit wurde 2015
Griechenland gezwungen, das eigens veranstaltete Referendum zu missachten und
sich dem Druck von EU-Kommission, IWF und EZB zu beugen. Für ein solches
Szenario wäre eine Parallelwährung á la Mini-Bots natürlich eine geeignete
„Backuplösung“. Italien könnte dem heimischen Bankensystem über die italienische
Notenbank nahtlos Liquidität in Form von Mini-Bots zur Verfügung stellen. Diese
würden jedoch von der EZB nicht als Sicherheit akzeptiert und dies wäre dann der
faktische Ausschluss von Italien aus der Eurozone. Rein theoretisch könnten die
Mini-Bots daher auch genauso gut „Lira“ heißen.
Maximale Drohkulisse
Noch sind die Mini-Bots nur ein Konzept und zu einer Eskalation wird es wohl gar
nicht kommen. Denn die Verantwortlichen in Brüssel werden wissen, dass Matteo
Salvini nicht blufft und ziemlich gute Karten hat. 2011 steckte Silvio
Berlusconi in einer grob vergleichbaren Situation, als er von den beiden
EZB-Chefs Trichet und Draghi in einem „Brandbrief“ aufgefordert wurde, sich den
Forderungen der Kommission zu beugen. Der große Unterschied: 2011 hatte
Berlusconi keine Mehrheit und musste Neuwahlen fürchten. Er trat zurück und
seine Regierung wurde durch eine „Technokratenregierung“ unter dem ehemaligen
EU-Kommissar Mario Monti ersetzt. Was folgte, war eine Erosion des alten
Parteiensystems und der Aufstieg von Lega und den Fünf Sternen. Lega-Chef
Salvini schwimmt heute auf einer Popularitätswelle und hat – anders als damals
Berlusconi – im Streit mit der EU-Kommission die Menschen hinter sich. Käme es
zu Neuwahlen, hätte die Lega beste Chancen auf eine absolute Mehrheit. Das weiß
Salvini. Das weiß die EU-Kommission.
Salvini lässt sich von der EU-Kommission nicht so einfach aus dem Amt drängen
und selbst die fiskalischen Waffen der EZB sind in diesem Falle stumpf, da die
Lega ja für einen Ausschluss aus der Eurozone durchaus zu haben ist und dank der
Mini-Bots anders als Griechenland sogar über das dazu passende Instrument
verfügt.
Ginge es hier um ein Pokerspiel, müsste man auf EU- bzw. Eurozonenseite ohnehin
erst einmal genau analysieren, wie gut das eigene Blatt ist. Wer hätte unter
einer neuen Eurokrise oder gar einem Ausschluss Italiens aus dem Euro am meisten
zu verlieren? Das wirtschaftlich angeschlagene Frankreich mit seinen ebenfalls
hohen Defiziten? Sicher. Deutschland, das wie ein Junkie von seinen
Exportüberschüssen und der Unterbewertung des Euros abhängig ist? Auch das. Wer
hier wirklich blufft und wer die „besseren“ Karten hat, ist also vollkommen
offen.
Ein heißer Herbst steht an
Prognosen sind bekanntlich schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.
Noch ist ja nicht einmal klar, wer überhaupt der nächste Kommissionspräsident,
wer die zuständigen Kommissare und wer der kommende Eurogruppenchef wird. Und
auch das Amt des EZB-Präsidenten muss ab Oktober neu besetzt werden. All diese
Personalien haben großen Einfluss auf den Ausgang der jetzigen und der kommenden
Konflikte zwischen Italien und Brüssel. Die Chancen, dass Italiens Aufstand
begrenzt erfolgreich sein wird, stehen so gar nicht mal schlecht. Denn es ist
doch unwahrscheinlich, dass die neue Kommission es darauf anlegt, die
drittgrößte Volkswirtschaft der EU für ein Dogma zu opfern, das ohnehin in
vielen Staaten nicht (mehr) geteilt wird.
Erstaunlich gelassen betrachten übrigens „die Märkte“ die aktuellen Vorgänge.
Die Zinsen für 10-jährige italienische Staatsanleihen liegen zur Zeit bei rund
2,4%. Das ist zwar 2,6% höher als der Zins für deutsche Anleihen, die immer noch
negativ verzinst werden, aber auch deutlich weniger als die 3,6%, die nach der
Bildung der Koalition zwischen Lega und Fünf Sternen verlangt wurden und gar
nicht zu vergleichen mit den rund 6%, die das Land nach dem „Brandbrief“ an
Berlusconi zahlen musste. Von einem „Schock“ kann da nicht die Rede sein. Es
klingt paradox – ausgerechnet die Halsstarrigkeit einer italienischen
Anti-Establishment-Koalition könnte die für ganz Europa dringend nötige
ideologische Wende herbeiführen.