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03.04.2019  00:00
Die Zerstörung der UNO durch den
“Amerikanischen Exzeptionalismus”

Geschwächt im Vergleich zu ihren russischen und chinesischen Konkurrenten, finden die Vereinigten Staaten ihre historischen Reflexe wieder. Was die auswärtigen Beziehungen betrifft, lassen sie nun die liberale Weltordnung fallen und kehren zur Exzeptionalismus-Doktrin zurück. Indem sie ihr eigenes Engagement im Sicherheitsrat in Frage stellen, haben sie gerade den Weg zur Dekonstruktion des Völkerrechtes und zum Ende der Vereinten Nationen geebnet. Diese Entwicklung, die die Westeuropäer überrascht und bestürzt, war von Russland und China vorausgesehen worden, die sich darauf schon vorbereiteten. [Quelle: voltairenet.org] JWD

 Von Thierry Meyssan  |  Voltaire Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 02. April 2019


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Quelle: voltairenet.org (verlinkt)

Am 26. März 2019 sagen die Vereinigten Staaten ihr Engagement im Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen ab und behaupten ihren "Exzeptionalismus":
sie erkennen die territoriale Eroberung der Golanhöhen durch Israel an.

   
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er ehemalige Botschafter von Präsident Bush Jr. in den Vereinten Nationen und aktuelle Berater für die nationale Sicherheit von Präsident Trump, John Bolton, ist gegen einen bestimmten Punkt der Vereinten Nationen. Es kommt für ihn nicht in Frage, dass irgendjemand, bezüglich irgendeines Themas, sein Land zwingen könnte. Daher bilden die fünf ständigen Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates von New York ein globales Direktorium, das Recht spricht für die Nationen ... das aber den Vereinigten Staaten nichts aufzwingen kann.

Dieser Standpunkt, “Exzeptionalismus” ist schon immer derjenige von Washington gewesen, selbst wenn der Rest der Welt sich darüber noch nicht im Klaren ist [1]. Er scheint heute in einem besonderen internationalen Zusammenhang wieder auf und wird die Welt, die wir kennen, erschüttern.

Der amerikanische "Exzeptionalismus" bezieht sich auf den Mythos der "Pilgrim Fathers": Puritaner, die in England, wo man sie als gefährliche Fanatiker betrachtete, verfolgt wurden, in die Niederlande flüchteten und dann nach Amerika, wo sie an Bord der Mayflower (1620) ankamen. Sie bauten eine neue, auf Gottesfurcht gegründete Gesellschaft auf. Es war "die erste demokratische Nation", das "Licht auf dem Hügel", aufgerufen, um die Welt zu erleuchten. Die USA sind sowohl "Beispiel" für andere und haben eine "Mission", nämlich die Welt zum göttlichen Willen zu konvertieren.

Natürlich unterscheidet sich die historische Wirklichkeit sehr von der Erzählung, aber das ist nicht das Thema.

Seit zwei Jahrhunderten haben sich die Präsidenten der Vereinigten Staaten, ohne Ausnahme, an diese historische Fälschung gehalten. Daher:
- verhandeln, unterzeichnen und verabschieden sie Verträge, mit gewissem Vorbehalt, um sie im innerstaatlichen Recht nicht anzuwenden;
- denken sie, dass sie dem "Willen Gottes" folgen, während ihre Feinde das ablehnen und deshalb verurteilen sie sie für die gleichen Handlungen mit mehr Härte als für sich selbst (doppelter Standard);
- lehnen sie jegliche internationale Rechtszuständigkeit ab, die für ihre inneren Angelegenheiten gilt.

Diese Haltung führt umso mehr zu Missverständnissen, als die Europäer überzeugt sind, offen zu sein, obwohl sie keine Anstrengungen machen, um die Besonderheiten der anderen zu verstehen. So glauben sie, dass die Weigerung der Vereinigten Staaten, das Paris-Abkommen für das Klima anzunehmen, vom vermeintlichen Obskurantismus des Präsidenten Trump komme. Es ist in Wirklichkeit eine konstante Haltung von Washington. Dem Abkommen von Paris 2015 war das Kyoto-Protokoll von 1997 vorausgegangen, das Washington auch ablehnte: die USA waren entschlossen, nicht anzunehmen, was sie mitgeholfen hatten zu schreiben -, weil es ihren Bürgern ein bestimmtes Verhalten auferlegte. Präsident Clinton versuchte, Einschränkungen zu verhandeln, die die Vereinten Nationen verweigerten. Er unterzeichnete daher das Protokoll, das er zur Ratifizierung in den Senat schickte. Dieser hat es einstimmig abgelehnt, - Republikaner und Demokraten – was ihm ein Argument für neue Verhandlungen gab. Diese Ablehnung aller internationalen rechtlichen Bestimmungen, die im innerstaatlichen Recht gelten, bedeutet nicht, dass die Vereinigten Staaten das Ziel des Kyoto-Protokolls und des Übereinkommen von Paris - Verringerung der Luftverschmutzung - ablehnen, noch dass sie nichts in diesem Sinne tun werden, im Rahmen interner Rechtsbestimmungen.

Wie auch immer, der "Exzeptionalismus" bedeutet, dass die Vereinigten Staaten "eine mit keiner anderen vergleichbare Nation” sind. Sie sehen sich selbst als Beispiel für Demokratie, aber weigern sich, den anderen gleichgestellt zu sein, welche sie infolgedessen unter keinen Umständen als demokratisch ansehen können. Während des Kalten Krieges haben die Verbündeten diese kulturelle Besonderheit absichtlich ignoriert, während ihre Feinde ihr keine Aufmerksamkeit schenkten. Vom Ende der Sowjetunion bis zum Untergang des Abendlandes, als die Welt unipolar war, wurde diese Besonderheit nicht diskutiert. Aber heute zerstört sie das System der kollektiven Sicherheit.

Anbei sei darauf hingewiesen, dass zwei andere Staaten der Welt eine ähnliche Doktrin des Amerikanischen Exzeptionalismus haben: Israel und Saudi Arabien.

Nach der Klarstellung dieses Zusammenhangs, schauen wir nun, wie die Souveränität der Golan-Höhen die Lunte ans Pulverfass gelegt hat.

Die Vereinigten Staaten und die Golan-Höhen

Am Ende des Sechs-Tage-Krieges (1967) hat Israel die syrische Golan Hochebene besetzt. Da die Resolution 242 des Sicherheitsrates "die Unzulässigkeit des Erwerbs von Territorium durch Krieg unterstrich", befahl sie den "Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem im vorhergegangenen Konflikt besetzten Territorium" [2].

Im Jahr 1981 beschloss die Knesset einseitig diese Resolution zu verletzen und die Hochebene des Golan zu annektieren. Der Sicherheitsrat reagierte darauf mit der Resolution 497, die das israelische Gesetz für "null und nichtig und ohne internationale Rechtswirkung" erklärte [3].

Während 38 Jahren gelang es den Vereinten Nationen nicht diese Beschlüsse durchzusetzen, aber sie blieben unbestritten und wurden immer von den USA unterstützt.

Am 26. März 2019 jedoch haben die Vereinigten Staaten die israelische Souveränität über den besetzten Golan anerkannt, d.h. den Bodengewinn durch Krieg [4]. Auf diese Weise haben sie ihr seit 52 Jahren gültiges Stimmverhalten im Sicherheitsrat zur Golanfrage widerrufen und die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen [5], die seit 74 Jahren das Völkerrecht ausarbeiten, verletzt.

Die Vereinten Nationen werden noch mehrere Jahre existieren, aber ihre Resolutionen haben jetzt nur noch einen relativen Wert, da sie nicht mehr jene verpflichten, die sie beschließen. Der Vorgang des Abbaus des Völkerrechts beginnt. Wir kommen in eine Zeit, die dem Recht des Stärkeren unterliegt, wie es der Fall vor dem ersten Weltkrieg und der Schaffung des Völkerbundes war.

Wir wussten bereits, dass selbst im Sicherheitsrat das Wort der Vereinigten Staaten seit den großen Lügen des Staatssekretärs Colin Powell am 11. Februar 2003 nur einen relativen Wert hatte, was die angebliche Haftung des Irak für die Anschläge vom 11. September und die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen betraf, die den Westen bedrohten [6]. Aber das ist jetzt das erste Mal, dass die Vereinigten Staaten ihre Stimme im Sicherheitsrat ändern.

Washington begründet seine Entscheidung mit den Worten, dass es die Realität zur Kenntnis nimmt: seit 1967 ist der Golan durch Israel besetzt, seit 1981 wird er von Israel wie sein eigenes Territorium verwaltet. Laut Washington, dank des amerikanischen Exzeptionalismus, hat diese Realität bei einem Verbündeten, der Gott fürchtet, Vorrang vor dem Völkerrecht, das mit Partnern in böswilliger Absicht gemacht wurde.

Dann stellt Washington fest, dass die Rückgabe des Golan an Syrien ein schlechtes Signal wäre, da Syrien in seinen Augen nur eine kriminelle Bande sei, während es gerecht ist, den hervorragenden israelischen Verbündeten zu belohnen. Immer noch gemäß der Exzeptionalismus-Lehre, haben die Vereinigten Staaten, diese ’’Nation wie kein andere ’’, dieses Recht und diese Mission.

Nachdem sie die Welt dominiert haben, verzichten die geschwächten USA nun auf die Vereinten Nationen. Um ihre dominierende Position beizubehalten, ziehen sie sich auf den Teil der Welt zurück, den sie noch beherrschen. Bis jetzt betrachteten Russland und China sie, dem Bild von Sergej Lawrow zufolge, wie ein sterbendes Raubtier, das man gnädig zum Tod begleiten soll, indem sichergestellt wird, dass es keine Katastrophe mehr verursacht. Aber die Vereinigten Staaten haben ihren Niedergang durch die Wahl von Donald Trump angehalten und dieser, nach dem Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus, hat einen Bund mit dem US-Deep-State gemacht (wie es die Ernennung von Elliott Abrams [7] und der Rückzug der Anschuldigung der geheimen Absprache mit dem Feind vom Staatsanwalt Robert Mueller zeigt [8]), um sich an der Macht zu halten.

In Wirklichkeit geht man nicht in Richtung der Schaffung einer dritten Welt-Institution, nach dem Völkerbund und der Organisation der Vereinten Nationen, sondern zu einer Aufteilung der Welt in zwei Zonen, organisiert nach verschiedenen rechtlichen Vorlagen: die eine unter US-Vorherrschaft und die andere, bestehend aus souveränen Staaten, rund um die "Partnerschaft des erweiterten Eurasien". Im Gegensatz zum Kalten Krieg, wo es schwierig war, vom Osten nach Westen zu reisen und umgekehrt, aber wo die beiden Blöcke die einzigartige Rechtsordnung der Vereinten Nationen akzeptierten, sollte das neue System ermöglichen zu reisen und Handel von einer Region zur anderen zu betreiben, aber es sollte gemäß zwei Gesetzesmodellen organisiert werden.

Das ist genau die post-westliche Welt, die der russische Minister für auswärtige Angelegenheiten, Sergei Lavrov, am 28. September 2018 auf dem Podium der Generalversammlung der Vereinten Nationen angekündigt hatte [9].

Nebenbei bemerkt hat Israel die Anerkennung seiner Souveränität über den Golan durch die Vereinigten Staaten als einen Sieg gefeiert, Saudi Arabien hat sie nach einem Moment des Nachdenkens verurteilt. Diese Position entspricht nicht der Saudi Doktrin, aber im Hinblick auf die Einstimmigkeit der arabischen Welt gegen diese territoriale Eroberung hat Riad beschlossen, sich seinem Volk anzuschließen. Aus dem gleichen Grund wird es auch gezwungen sein, das "Geschäft des Jahrhunderts" für Palästina auszuschlagen.

Haben sich die Vereinigten Staaten geändert?

Die Presse gestattet sich keine Antizipationen, wie wir es gerade getan haben, mit dem Ende der Vereinten Nationen und der Teilung der Welt in zwei separate Rechtsgebiete. Da sie nicht fähig ist, die Ereignisse zu verstehen, klammert sie sich an ein Mantra: der populistische Donald Trump hätte die Vereinigten Staaten geändert und die internationale liberale Ordnung zerstört.

Das bedeutet aber, die Geschichte zu vergessen. Der US-Präsident Woodrow Wilson war sicherlich einer der wichtigsten Architekten des Völkerbundes am Ende des ersten Weltkrieges. Aber dieser Bund, auf Gleichheit der Staaten basierend und im Einklang mit den Gedanken der Franzosen Aristide Briand und Léon Bourgeois, verstieß direkt gegen den Amerikanischen Exzeptionalismus. Das ist der Grund, warum sie nie daran teilnahmen.

Im Gegensatz dazu sind bei der Organisation der Vereinten Nationen, von denen Präsident Roosevelt einer der Architekten war, eine demokratische Vollversammlung und ein globales Direktorium, den Sicherheitsrat, miteinander verbunden, was durch das Vorbild des Verwaltungssystems des Wiener Kongresses (1815) angeregt war. Es war daher möglich für die Vereinigten Staaten, sich daran zu beteiligen, was sie auch taten.

Da sie aber heute keine Autorität über Russland oder China ausüben können, und wo sie keinen Grund mehr haben, mit diesen zwei Mächten Kompromisse einzugehen, ziehen sich die USA aus dem System der Vereinten Nationen zurück.

Es ist grotesk für die Westmächte, die während 74 Jahren weitgehend von diesem System profitiert haben, zu jammern und diese Flucht zu bedauern. Man sollte sich doch vielmehr fragen, wie man ein so wackeliges Gebäude konstruieren konnte: der Völkerbund hatte die Gleichheit der Staaten begründet, aber die Gleichberechtigung unter Völkern verweigert, die Organisation der Vereinten Nationen hat versucht, eine universelle Moral durchzusetzen, aber den Universalismus der Menschheit vergessen.

Autor: Thierry Meyssan  | Übersetzung: Horst Frohlich  |  Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

 
Thierry Meyssan Thierry Meyssan: Politischer Berater, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk: Sous nos yeux - Du 11-Septembre à Donald Trump.

Dieser Beitrag ist unter Lizenz der Creative Commons (CC BY-NC-ND)
 

Fußnoten:


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