24.11.2014 09:25 Ukraine-Konflikt: Unterschiedliche Wahrnehmung
von Russland und Deutschland zu Ereignissen
„Deutschland und Russland haben eine unterschiedliche Wahrnehmung, was die
Auslöser der Krise in der Ukraine angeht.“ Das sagt Bundesaußenminister
Steinmeier, und er bemüht sich um immer neue Gespräche zwischen den
Konfliktparteien. Gleichzeitig verschärft Kanzlerin Merkel gegen Russlands
Präsident Putin den Ton. Sie warnt vor einem Flächenbrand in Europa. Wie soll
Deutschland mit Russland umgehen? Mit dieser Frage hat sich Hendrik Polland im
Interview mit dem Osteuropa-Experten und Politikwissenschaftler Heiko Langner
beschäftigt.
[Quelle: german.ruvr.ru] JWD
Bundeskanzlerin Merkel hat Russlands Präsident Putin nach den gemeinsamen
Gesprächen in Sydney so scharf kritisiert wie noch nie. Die Meinungen darüber
gehen auseinander. Die CDU befürwortet die Kritik, die SPD mahnt zur Vorsicht.
Wie deutlich sollten westliche Politiker Putins Politik kritisieren, ohne neue
Gespräche und Verhandlungen zu gefährden?
Wir erleben aktuell einen Scherbenhaufen der internationalen Politik,
insbesondere ein Versagen der Diplomatie. Mich persönlich haben die Äußerungen
von Bundeskanzlerin Merkel ziemlich geschockt. Bislang ist die Bundesregierung
nicht als Scharfmacherin in der Krise aufgetreten. Innerhalb der EU hat sie
immer noch für eine gemäßigte Position geworben. Die Äußerungen der Kanzlerin
markieren deshalb einen tiefen Einschnitt. Dabei wird die gesamte Schuld für die
Krise bei einer Partei, eben Russland, abgeladen. Das ignoriert das Verhalten
und die Handlungsweisen der anderen Akteure. Beim Bundesaußenminister Steinmeier
kann man sagen, er wirbt für eine gemäßigte Position. Er versucht die Interessen
weitaus stärker auszugleichen. Das Grundproblem bleibt aber erhalten: Das
Deutschland als EU-Mitglied die Position der EU vertritt und das in einer Frage,
in der die EU sehr wohl Teil dieses Konfliktes ist.
Kanzlerin Merkel hat die Frage gestellt, wo Schluss ist für Präsident Putin. Sie
schätzt das Verhalten Russlands so ein, dass es seine Einflusssphäre nach Westen
ausdehnen will. Dabei spricht sie von einer Gefahr für die europäische
Friedensordnung. Als Stichpunkte hat sie Moldawien, Georgien, Serbien und den
weiteren Westbalkan genannt. Sind solche Ängste von Angela Merkel begründet?
Ich finde, man sollte wenigstens beide Seiten betrachten. Man kann und muss
sicherlich auch die russische Politik in der einen oder anderen Frage
kritisieren. Die Kritik muss allerdings hinsichtlich der Fakten stimmen und es
darf nicht der Eindruck entstehen, als würden hier doppelte Standards in der
Bewertung angelegt werden. Auch mit Blick auf die 90er Jahre, auf die Kriege auf
dem Balkan oder auch mit Blick auf die Erweiterung der Nato im Osten. Das waren
auch alles einseitige Schritte, die der Westen gegangen ist, vor allem die USA
und die Nato-Staaten. Die konnten aus russischer Sicht auch nicht unbeantwortet
bleiben. Das war aus russischer Sicht der entscheidende Beitrag zur Eskalation.
Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck, jetzt Vorsitzender des
Deutsch-Russischen Forums, stellt sich offen gegen die Linie der
Bundesregierung. Er sagt, dass man die Eingliederung der Krim durch Russland
akzeptieren und nachträglich durch ein neues Referendum legalisieren sollte,
einschließlich des Siegels der OSZE. Teilen Sie die Meinung von Platzeck?
Das ist auch immer so eine Sache, wenn Politiker sich mit unkonventionellen
Positionen zu Wort melden, wenn sie nicht mehr aktiv sind. Das ist ein sehr
pragmatischer Ansatz, bei dem Platzeck davon ausgeht, dass die Realität, so wie
sie ist, also die Eingliederung der Krim, sich nicht mehr rückgängig machen
lässt. Das wird nicht funktionieren. Ich gebe ihm recht, dass es seitens der
Nato, EU und USA völlig klar ist, das sich das Ganze nicht mehr wird rückgängig
machen lassen. Das haben sie auch stillschweigend akzeptiert. Das heißt aber
nicht, dass sie das auch rechtlich anerkennen oder legalisieren werden. Es ließe
sich aus meiner Sicht in der Praxis gar nicht umsetzen. Wenn es noch einmal ein
Referendum gäbe, zum Beispiel unter der Regie der OSZE, wäre das Ergebnis mit
ziemlicher Sicherheit dasselbe was wir vorher schon erlebt haben. Es gibt
natürlich eine Mehrheit für den Beitritt zur russischen Föderation. Nur: Wenn
der politische Status eines Gebiets oder die territoriale Zugehörigkeit geändert
werden sollen, brauchen sie die Zustimmung aller beteiligten Parteien. Es ist
doch völlig klar, dass die ukrainische Regierung einem solchen Referendum mit
einem solchen Ausgang natürlich niemals zustimmen wird. Dann könnte die auch
gleich zurücktreten. Daher finde ich, ist es ein unrealistischer Vorschlag. Man
sollte sich bemühen, erstmal wieder die Gespräche in Gang zu bringen. Dann kann
man vielleicht nochmal zu einem späteren Zeitpunkt versuchen, eine Lösung zu
finden. Aber derzeit sehe ich das nicht.
Wegen der Ukraine-Krise sitzt Serbien auf einmal zwischen den Stühlen. Das Land
will Teil der EU sein, gilt aber als engster Verbündeter Russlands auf der
Balkanhalbinsel. Die EU hat jetzt von Serbien gefordert, ebenfalls Sanktionen
gegen Russland zu verhängen. Bahnt sich damit ein nächster Konflikt im
europäischen Raum an, dessen Ausmaße nicht absehbar sind?
Ich will das nicht hoffen, aber man kann das nicht ausschließen. Die
Konfliktstrukturen sind durchaus vorhanden. Wir werden das möglicherweise auch
noch im Falle der Republik Moldau erleben. Da stehen jetzt unmittelbar
politische Wahlen bevor. Je nachdem wie die ausgehen, kann auch sehr schnell
eine ähnliche Gemengelage entstehen. Das Ganze läuft am Ende darauf hinaus, dass
ein Stück weit den betroffenen Ländern zum Teil die Möglichkeit genommen werden
soll, selbstständig, unabhängig über die politische Richtung und Ausrichtung
ihres Landes zu entscheiden. Das ist kein schöner Umgang. Man muss auch schauen:
Wieso gibt es Länder, denen gute Beziehungen zu Russland wichtig sind. Da finde
ich schon, dieser Grundsatz der Lagerbildung ein völlig falscher Ansatz ist,
nach dem Motto: Du musst gegen Russland sein, um von der EU unterstützt oder
aufgenommen zu werden.
Auf politischen und diplomatischen Weg gibt es verschiedene Ansätze, um den
Ukraine-Konflikt zu beruhigen. Zum einen gibt es die Minsker Vereinbarungen. Es
gab neue Parlamentswahlen in der Ukraine und Volkswahlen in den umkämpften
Regionen Lugansk und Donezk. Außenminister Steinmeier hat über die Minsker
Vereinbarungen gesagt, dass sie nicht perfekt seien, aber ein belastbares
Dokument, an dem jetzt weitergearbeitet werden müsse. Welchen Wert haben die
Vereinbarungen, wenn sie bisher, wie es aussieht, nicht eingehalten werden?
Das ist die Herausforderung, vor der wir aktuell stehen. Ich sehe keine
Alternative zu diesem Minsker Prozess. Dort wo jetzt Probleme bestehen, die
müssen aus meiner Sicht dringend gelöst werden. Der Kern lautet: Wie kann
Vertrauen in Fragen der militärischen Sicherheit entstehen, wenn die
Konfliktparteien durch ein tiefes Misstrauen gekennzeichnet sind. Das muss
gelöst werden. Es ist eine sehr ernste Situation. Wenn sich da keine Lösung
abzeichnet, wird dieser Konflikt womöglich längere Zeit weiter köcheln und wir
haben dann einen weiteren schwelenden Konflikt. Damit wäre niemandem geholfen.
Am allerwenigsten der betroffenen Zivilbevölkerung.
In den Regionen Lugansk und Donzek gab es Anfang November Wahlen. Die Kräfte
gegen Kiew haben dabei gesiegt. Wie werten Sie das Ergebnis?
Das ist zu erwarten gewesen. In dem Maße, wie sich der Konflikt hochgeschaukelt
hat, in dem Maße, wie auch beide Konfliktparteien ihre praktische Kriegsführung
professionalisiert haben, desto stärker ist auch der Entfremdungsprozess
voneinander geworden. Sie sehen das umgekehrt am Ergebnis der Wahlen in der
Ukraine. Da wurden auch die Kräfte gestärkt, die für eine starke nationale
Position werben. Das wird aus meiner Sicht in den deutschen Medien politisch
verzerrt dargestellt. Da wird eben gesagt, die Swoboda-Partei habe eine
Niederlage erlitten, deshalb sei der rechte Spuk vorbei. Das muss man
differenzierter sehen. Dieser Entfremdungsprozess ist. Das deutet darauf hin,
dass keine schnelle Lösung zu erwarten ist.